Trump ist Trumpf

 

"Die befremdliche Pointe ist, dass einige der Wahlversprechen von Donald Trump exakt einer linken Agenda entsprechen. Seine Ankündigung, die Arbeitsvisa für die USA deutlich restriktiver zu bewilligen, hat vor allem bei den Internetkonzernen aus Kalifornien zu einem Aufschrei geführt. Die Doppelmoral dieses Aufschreis muss die Linke verstehen, damit sie sich nicht immer wieder durch moralische Panik für die Interessen des Kapitals einspannen lässt."

 

Bernd Stegemann, Das Gespenst des Populismus, 2017

 

 

Donald Trump ist ein Phänomen. Ein psychologisches Phänomen. Nicht unbedingt im Hinblick auf seine Persönlichkeit, so exzentrisch die auch sein mag, sondern vor allem im Hinblick auf die Art von Resonanz, die er bei seinen Verächtern und Sympathisanten auslöst. Wenn sich die Linken, genervt von Trumps Münchhausiaden, in routinierter Dauer-Empörung suhlen und jedes seiner Worte auf die Goldwaage legen, ist das nicht ohne Komik. Trump ist das nach rechts gewendete Zerrbild ihrer selbst. Er ist das, was aus dem Wald herausschallt, in den sie schon die längste Zeit hineingerufen haben. Anders, als ständig behauptet wird, setzen nicht nur Rechtspopulisten auf die "gefühlte Wahrheit". Bei den Linken haben wir ein ähnliches Phänomen. Es zeigt sich in immer neu aufbrandenden Empörungsdebatten, die eine freie Meinungsäusserung erschweren, während die Rechten mit derselben Methode kritische oder tendenziöse Medien auszuschalten versuchen. Hier ist Trump ganz auf der Höhe seiner Zeit. Wie man sich die Wahrheit zurechtbiegt, hat er bei den Linken sehr sorgfältig abgeschaut: Wahrheit ist subjektiv. Wahrheit ist ein Konstrukt. Wahrheit ist Bauchsache. Wahr ist, was ich als Wahrheit postuliere. Den linksdiskursiven Subjektivismus - die postmoderne Auffassung, wonach es keine allgemeingültige Realität gibt, sondern immer nur eine Interpretation von Realität - hat Trump auf seine eigene vulgäre Ebene gebracht. Sobald ihn jemand angreift, springt aus der Jux-Blume an seinem Revers ein Fake-news-Vorwurf oder ein Twitter-Kommentar, und schon hat sich die Sache erledigt. Und schon kommt die nächste Lüge oder das nächste Fettnäpfchen.

 

Schaden wird ihm das alles nicht. Das Windige und Krumme schadet ihm genauso wenig wie das ständige Grosstun. Jeder Imageberater weiss, dass es nicht darauf ankommt, ein Engel zu sein. Es kommt darauf an, sich selbst zu sein. Darin ist Trump in der Tat unübertroffen. Selten je wurde ein US-Präsident so intensiv nachgeäfft und parodiert. Als ob man da noch einen Zacken draufsetzen könnte! Keine Übertreibung kommt an das Original heran. So schräg wie Trump ist nur einer: nämlich Trump selber. In seinem plumpen Protz-Verhalten eines neureichen Emporkömmlings ist er derart primitiv, dass man ihn schon fast als raffinierte Entlarvung seiner selbst empfindet. Wie auch als Entlarvung dessen, wofür dieser Präsident eigentlich steht: die Dummheit des Kapitals. Trump hält dem Kapitalismus einen beschämenden Spiegel vor. Wer  viel Geld hat, hat noch längst nicht alles. Und mehr noch: dem geht auch etwas ab. Viel Geld und eine grosse Persönlichkeit: das schliesst sich gegenseitig aus. Man kann zwar eine grosse Persönlichkeit sein und irgendwie zu Geld kommen, - wie zum Beispiel Giacometti, der seine Millionen nicht auf die Bank bringen wollte, sondern in seiner Pariser Bruchbude irgendwo versteckte, wo sich die Ratten darüber hermachten. Halb so schlimm. Eine grosse Persönlichkeit braucht kein Geld. Oder zumindest nicht viel Geld. Viel Geld braucht nur, wer keine Persönlichkeit hat. Denn Geld ist eigentlich nichts anderes als ein Surrogat, ein Ersatzmittel. Geld kann man gegen Dinge eintauschen, und mit Geld kann man vieles kompensieren, zum Beispiel einen Mangel an Persönlichkeit, die fehlende Substanz. 

 

Trump ist ein Phänomen. Nicht in Bezug auf seine Persönlichkeit und vielleicht nicht mal in Bezug auf seine Wähler, die man jetzt wissenschaftlich untersucht, um herauszufinden, wie jemand dazu kommt, Trump zu wählen. Doch ich bin mir sicher: Trump wurde nicht von seinen Wählern gewählt. Es sind seine erklärten Nicht-Wähler, die ihn gewählt haben. Sie sind es, die ihm nach Bekanntgabe seiner Kandidatur den roten Teppich ausgerollt und sämtliche Spotlampen auf ihn gerichtet haben. Den Erfolg drängen sie ihm geradezu auf, sie sind der Wind in seinen Segeln und das Wasser auf seinen Mühlen. Ein absurde Situation. Selten je hat ein US-Präsidentschaftskandidat so viele Arschtritte einstecken müssen. Und so ist Trump buchstäblich die Erfolgstreppe hinaufgestolpert: bis ins Weisse Haus hinein. Man kann sich fragen, was Trump eigentlich dazu beigetragen hat. Das Verrückte an Trump ist ja nicht, was er sagt oder tut, sondern der totale geistige Blackout des linksliberalen Mainstreams. Auch in Europa, wo die Linken in ihrem Trump-Hass förmlich durchdrehen. Wie die Lemminge rennen sie in eine Sackgasse hinein, aus der sie nicht mehr herausfinden. An der Oberfläche mag Trump ein plumper Demagoge sein, ein Hetzer, der die primitivsten Regungen anspricht. Doch auch hier - nicht anders als in seiner Lügnerei, die so dreist ist, dass man sich zum Affen macht, wenn man jede einzelne Lüge zu widerlegen versucht - erweist sich Trump als trügerisch. Aus seiner holzschnittartigen Rhetorik ziehen seine Gegner die falschen Schlüsse. Denn hinter all seinen dumben Sprüchen und hanebüchenen Vereinfachungen leuchtet ein marxistisches Muster auf. Wenn man Trumps Rhetorik untersucht, stellt man nämlich fest, dass er sich nicht an eine diffuse Allgemeinheit wendet, das regenbogenfarbene Wir eines moderierten Kindergeburtstages. Trump spricht ganz bewusst und gezielt den Mittelstand und die Arbeiter an, und er scheut sich nicht, diese gesellschaftlichen Klassen auch zu benennen. Von daher der Vorwurf, Trump spalte die Gesellschaft. Das tut er tatsächlich. Seine Rhetorik zielt auf die Unterschiede, sie unterscheidet, sie spaltet. Das ist ja das Sonderbare an diesem Präsidenten, dem man häufig Phrasendrescherei vorwirft: er drischt eben keine Phrasen. Er spricht offen heraus, was er denkt, und was er denkt, mag noch so einfach sein: es ist präzise adressiert. Es hat Hand und Fuss. Trump spricht die absteigenden und vernachlässigten Klassen an. In dieser Deutlichkeit hat das nicht einmal Bernie Sanders gewagt. Trump trifft den Nagel auf den Kopf, indem er die "Verarschung" der angesprochenen Klassen (man darf hier ruhig Trumps Ausdrucksweise verwenden, er spricht eben die Sprache des Volkes, die Sprache der Arbeiter) in ein marxistisches Licht rückt. Dass er selber gar nicht zu den Abgehängten gehört, ja nicht einmal zu den Aufsteigern, die den "American dream" verwirklicht haben, sondern als verwöhnter Millionärsspross eine Eliteschule besucht hat, ist ein beliebtes Argument der Linken, um Trump als Scharlatan hinzustellen. Ein schwaches Argument. Es dient nur dazu, vom eigenen Versagen abzulenken.

 

Eine gewisse Skepsis ist durchaus angebracht. Trump ist kein Robin Hood. Er ist ein Wendehals. Ursprünglich Demokrat, hat er mehrmals die Partei gewechselt, je nach Lust und Laune. Trump ist unparteiisch in dem Sinn, dass er nirgendwo hineinpasst. Die einzige Partei, die er respektiert, ist er selber. Und so hat er sich schliesslich bei den Republikanern als Kuckucksei eingenistet, um seinen ganz eigenen Fanclub hinter sich zu versammeln: die Bibelmenschen, die Erzkonservativen, die Altpatrioten, die Proud Boys, die Tea-Party-People, die Rednecks, die Bürgerkriegsveteranen, die Waffenlobbyisten, die Abtreibungsgegner und die mittelständischen Familienbetriebe, die ihre Ladenkasse mit dem Winchester-Gewehr bewachen. Der grösste Machtfaktor, auf den Trump bauen kann, sind jedoch die national orientierten Unternehmer, die sich mit protektionistischer Hilfe gegen die neuen Global-Players in Stellung bringen. Etwa gegen China, eine Supermacht mit totalitären Ambitionen und einer besitzergreifenden Aussenpolitik - eine Bedrohung, die in dem ganzen Trump-Bashing zuweilen fast vergessen geht: die freie Welt wird von Peking und nicht von Washington bedroht! - und andererseits gegen die einheimischen Wölfe im Schafspelz, nämlich die wohlbekannten und allseits beliebten Internetriesen. Amazon, ein globalisiertes Monster-Unternehmen, das seine neoliberale Billiglohn- und Steuervermeidungspolitik gleichermassen in den USA, in Deutschland und in Indien durchsetzen kann, ist die exakte Gegenthese zu Trumps "America first". Der Widerstand gegen diese neue supranationale Machtkonzentration kommt nicht von links, er kommt von Trump. Seine vielgeschmähte Politik ist in ihren Grundabsichten protektionistisch. Sie ist gegen die übermächtigen Global Players gerichtet, und vor allem gegen den superkapitalistischen, durch und durch neoliberalen Ausbeuter, mit dem sich die Linken mehrheitlich verbünden anstatt ihn zu bekämpfen. Damit hocken sie nun in der Falle. Fälschlicherweise identifizieren sie Donald Trump als Oberschurken. Ein Irrtum. Die wahren Schurken verhalten sich still und diskret. Sie erschleichen sich die Weltherrschaft auf Katzenpfoten - und ohne jemals die Political Correctness zu verletzen. Amazon-Chef Jeff Bezos gibt sich als Kämpfer gegen Rassismus. Die Logik dahinter ist zynisch: so kann er ein globales Konsumbewusstsein des "guten Gewissens" propagieren und Billigarbeiter aus aller Welt rekrutieren. Ohne Ansehen der Hautfarbe, der Ethnie, der Nation, der Herkunft. Alle Menschen sollen gleich sein, zumindest vor dem ausbeuterischen Kapital. 

 

Unbeeinträchtigt von all den Entrüstungsdebatten und ideologischen Plänkeleien, in denen sich die Linken verstricken und verfangen wie in einem Gewirr aus Garnfäden, gedeiht eine weltumspannende Sklavenwirtschaft. Egal ob in den USA, in Indien oder Frankreich: sie fasst überall Fuss. Innerhalb weniger Jahre ist Amazon ins Gigantische gewachsen. Das Unternehmen ist mittlerweilen so mächtig, dass es sozialpolitische Forderungen stellen, Gesetze aushebeln und ganze Staaten mit der Verfügbarkeit oder Nicht-Verfügbarkeit firmeneigener Technologien erpressen kann. Das Mittel dagegen kommt nicht von links, es kommt aus der protektionistischen Ecke. Und darin liegt auch der Grund, weshalb die Protektionisten als Übeltäter hingestellt werden. Für die wahren Mächtigen sind sie nämlich eine grosse Gefahr: und eben nicht die Linken, die den falschen Feind auf dem Radar verfolgen, den bösen, bösen Rechtspopulisten, während Amazon und Co. die halbe Welt aufkaufen, gesunde Märkte zerstören und Millionen Billiglohnarbeiter vor sich hertreiben. In dieser neuen Konstellation ist Trump gleich doppelt und dreifach der Böse: für die Strippenzieher der neuen Superkonzerne wie auch für die Linken und die Linksliberalen. 

 

Für diejenigen, die Trump ihre Stimme verweigert haben, ist er eine Fehlbesetzung. Eine Vollkatastrophe. Für diejenigen, die ihn gewählt haben, ist er eine Rakete, die jedes Wahlversprechen wahr macht. Sogar die Grenzmauer - ein Projekt, so unrealistisch wie der Staudamm bei Gibraltar, den der deutsche Architekt Herman Sörgel in den Zwanzigerjahren errichten wollte - gelangte ansatzweise zur Ausführung - und ist inzwischen unglaubliche 15 Meter lang! Trumps Hauptanliegen war jedoch, den weltgrössten Augiasstall auszumisten und den linksliberalen Machtapparat auf den historischen Müllhaufen zu befördern. Und das hat er denn auch getan. Mit erstaunlicher Zielstrebigkeit und unter massivsten Anfeindungen. Die mehrheitlich ins Leere gelaufen sind - und immer noch ins Leere laufen. Seine Feinde agitieren vergebens, sie schreien vergebens, protestieren vergebens, zeichnen Trump-Karikaturen, bis ihnen die Finger abfallen: alles vergebens. Jede Kampagne gegen Trump geht in die Binsen. Obwohl da beträchtliche Kräfte am Werk sind. Das linksliberale Medienkartell, von Trump liebevoll "Fake-news-Medien" genannt, erzeugt einen starken Gegenwind, der zwar hin und wieder Trumps Frisur durcheinander wirbelt, nicht aber seine Politik. Trump kann auf die Medien pfeifen, weil er mit seinem Babyphone, auch Twitter genannt, mehr Menschen erreicht als die New York Times und CNN zusammengenommen. Und nach wie vor ist Trump für Überraschungen gut. Denn Trump ist einer, der das eine tut und das andere nicht lässt. Das ist es, was die Linken nicht kapieren. Trump ist kein Scharlatan, obwohl er die ganze Zeit lügt, und seine Politik nützt nicht nur den Reichen und Superreichen, obwohl er eine finanzstarke Lobby bedient. De facto zielt Trumps Steuerpolitik auf eine Entlastung der "kleinen Leute". Wer das bestreitet, sollte sich mal ein paar Strassenumfragen anschauen. Weshalb loben ihn die kleinen, mittelständischen Unternehmer und ihre Angestellten in den höchsten Tönen? Weil er sie betrügt und belügt? Weil er ihnen Schaden zufügt? Ich glaube nicht. Man macht es sich zu einfach, wenn man diese Leute kategorisch für dumm erklärt. Trump ist ein Linker, ob man das nun wahrhaben will oder nicht. Ein Linker wider Willen, aber nichtsdestotrotz ein Linker. Trump hat erkannt, was die Globalisierung mit ihren Freihandelsabkommen anrichtet. Und dass niemand dafür geradestehen will. Indem er dieses Problem zuoberst auf seine Agenda setzt und den Freihandel ausbremst, politisiert er voll und ganz für die abgehängten Kleingewerbler, Mittelständler und Arbeiter. Allzu oft wurden deren Sorgen und Ängste vom Tisch gewischt, allzu oft wurde die Globalisierung für gottgegeben erklärt. Was will man? 1-Dollar-T-Shirts und billige Smartphones? Oder gesicherte einheimische Arbeitsplätze? Darauf hat Trump eine klare Antwort, darauf fusst seine rabiate Wirtschaftspolitik, und deshalb stehen so viele "kleine Leute" hinter ihm. Und nicht weil er sie mit falschen Versprechungen ködert, wie oft behauptet wird. Dass Trump mit seinen Bemühungen nicht weit kommen wird, ist klar: der Widerstand ist übermächtig. Aber wenigstens haut Trump mal so richtig auf die Pauke. Und in den Ohren der Globalisierungverlierer ist das die reinste Musik.

 

Der Hass, der Trump entgegenschlägt, kommt aus den besten Kreisen und verfügt - mit Hollywood, Facebook, Apple, Microsoft, Amazon, Google, Walt Disney Company und einigen der grössten Medienkonzernen im Rücken - über die raffiniertesten Propagandamittel. Ein Präsident, der solche Feinde hat, müsste eigentlich einknicken. Er müsste um Gnade winseln. Aber genau das geschieht nicht. Im Gegenteil. Trump ist wie ein juckendes Ekzem. Je mehr man daran kratzt, desto heftiger juckt es. Je heftiger er geschmäht wird, desto heldenhafter steht er da. Die Schwächen seiner Gegner nutzt er schonungslos aus. Trumps Wahlsieg beruht auf einer Spaltung der Eliten, die im US-amerikanischen Zweiparteien-System kaum noch abgebildet wird. Seit der Finanzkrise von 2008 ist die Welt nicht mehr die gleiche. Der nationalkonservative Kurs - das Bemühen, staatliche Souveränität und die damit verbundenen flexiblen Handlungsmöglichkeiten zurückzugewinnen - hat für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Eliten an Attraktivität gewonnen, weil der herkömmliche Liberalismus an seine Grenzen stösst. Er leidet an Überkomplexheit und Hypertrophie, seine Krisenanfälligkeit liegt offen am Tag. Aus Frust über die supranational aufgeblähten Konglomerate und Machtblöcke, die ein selbstbestimmtes Agieren kaum noch zulassen, wenden sich die etwas weniger etablierten Eliten gegen die etwas etablierteren Eliten. Zwischen den Profiteuren des bestehenden globalistischen Systems und einzelnen Hasardeuren und Rebellen, die dieses System in ihrem Sinne umbauen wollen, kommt es zu immer stärkeren Spannungen und Zerwürfnissen. So wenden sich Unternehmer plötzlich gegen Grosskonzerne, Selfmade-Politiker gegen den Deep State, Protektionisten gegen Globalisten, Neo-Konservative gegen Turbo-Liberale und Neu-Linke. Und auch unter den Linken gibt es auf einmal eine Absetzbewegung. Etwa bei den Labours, die teils für und teils gegen den Brexit sind, einen teils EU-freundlichen und teils EU-kritischen Kurs fahren. Ein heilloses Zerwürfnis. Dasselbe bei den Linken in Deutschland, wo es zwischen der Alt-Linken Sahra Wagenknecht und der Neu-Linken Katja Kipping immer wieder zum Knatsch kommt. Wagenknecht, die versierte Marxistin, argumentiert stramm für die EU-kritische Unterschicht und unterläuft damit die offizielle Parteilinie, während Kipping mit Identitätspolitik, Genderismus, Migrationsförderung und einer wehrhaften Gesinnung "gegen Rechts" eher die EU-freundliche, urbane, akademische Linke anspricht, die mit der Unterschicht selten oder gar nicht sympathisiert. Wagenknecht hat begriffen, dass es nicht mehr die Arbeiter sind, die links wählen, sondern die gebildeten Oberschichtler, die sich mit ihrer linken Haltung einen moralischen Persilschein ausstellen. Eine gefährliche Schieflage. Kipping - und dasselbe gilt auch für das Gros der Sozialdemokraten - bietet den Neo-Konservativen und Neuen Rechten unfreiwillig eine offene Flanke. Das "Murren im Volk" als rechts abzustempeln, ist eine beliebte Methode des Establishments, um die eigene Macht zu sichern. Doch der Schuss geht nach hinten los, weil die Rechtspopulisten davon profitieren. Und das hat Wagenknecht begriffen, während Kipping zwar eine linke Politik macht, aber dann doch auch all jene moralistischen Ansichten ins Spiel bringt, mit denen sich das Establishment munitioniert,  um die Unterschicht in die rechte Ecke zu stellen und mundtot zu machen. Was sich hier abzeichnet, findet sich auch in vielen anderen Konfliktzonen. Es ist eine Spaltung, die sich durch die ganze westliche Gesellschaft zieht. Am Liberalismus  und seinem Machtsystem scheiden sich die Geister: sowohl links wie rechts. Und dieser Riss geht buchstäblich von oben nach unten. Das aktuellste und spektakulärste Beispiel neben Donald Trump ist wohl der Brexit. Auch hier war die Elite schon lange zerstritten, und der Brexit ist kein blindes Umhertappen verführter Volksmassen im englischen Nebel, sondern eine lang vorbereitete politische und ideologische Rochade. 

 

Die Medien machen aus Trump wahlweise einen Hohlkopf oder Bösewicht. Dazwischen gibt es nichts. Immerhin gibt es hier noch eine gewisse Meinungspluralität. Zwei Meinungen sind noch zulässig: Trump ist entweder  dumm und unzurechnungsfähig (ein "Kindskopf") oder böse und berechnend (ein "Tyrann"). Wer ein Kind hat, der weiss: Trump könnte auch beides sein. Manche Journalisten setzen ihren ganzen Ehrgeiz darein, die beiden Schablonen aufeinander zu legen, um den ultimativ schlimmsten Trump hinzubekommen, den Caligula des 21. Jahrhunderts. Mit dieser schablonenhaften Diffamierung machen die trumpkritischen Medien genau das, was sie Trump die ganze Zeit vorwerfen. Und sie geben Trump indirekt Recht, indem sie seine Vorurteile gegenüber Journalisten - das abwertende deutsche Wort "Journaille" drückt Trumps Verachtung sehr gut aus - aufs Schönste bestätigen. Seit Ronald Reagan gab es kaum einen US-Politiker, der von den Medien derart scharf und fanatisch beschossen wurde. Und das eigentlich grundlos. Man kann Trump kein Verbrechen nachweisen. Vielleicht wird man irgendwann ein paar Schummeleien aufdecken, man weiss es nicht genau, aber Trump ist definitiv kein Richard Nixon. Und im Gegensatz zum ähnlich polarisierenden Reagan hat er nie auch nur die geringste Veranlassung zu irgendwelchen apokalyptischen Ängsten gegeben. Trotzdem dreschen die Medien auf Trump ein, als ob er der zukünftige Weltvernichter wäre. "Zeit online" verstieg sich sogar dazu, am Morgen nach der Wahlnacht sämtliche Bilder blutrot einzufärben. Schockschwerenot! Niemand behauptet, Trump sei ein Unschuldslamm, aber wenn man die US-amerikanische Geschichte ein bisschen kennt, kann man getrost davon ausgehen, dass er nicht mehr Dreck am Stecken hat als jeder US-Präsident vor ihm. Es handelt sich um eine Schmutzkampagne allergrössten Ausmasses. Und insofern stimmt es, was Trump den trumpkritischen Medien vorwirft: sie legen sich ihre eigene Wahrheit zurecht. Das hat ja schon im Wahlkampf angefangen, mit dem inzwischen altbekannten Vorwurf der russischen Schützenhilfe. Ein Standard-Vorwurf der Linksliberalen, den sie auch beim Brexit ständig ins Spiel bringen. Wenn einem nichts Gescheiteres mehr einfällt, aktiviert man das Feindbild des Kalten Krieges und gibt den Russen die Schuld.

 

Es ist die Tragik der gemässigten oder liberalen Linken, dass sie den geistigen Überbau der herrschenden ökonomischen Verhältnisse beflissen mitgestaltet haben (poststrukturalistische Schulen, Political Correctness, Identitätspolitik etc.) und sich nun in der Geiselhaft des globalisierten Kapitals wiederfinden. Diese missliche Situation haben sie sich selber eingebrockt. Sie sind gefangen in einem Diskurs, der den Klassenkampf ausschliesst, weshalb sie jetzt dazu verteilt sind, den Status quo mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Darin zeigt sich ein riesiges Dilemma. "Gegen Trump" zu sein, ist noch lange kein Zeichen dafür, dass man als Linker auf der richtigen Seite steht. "Gegen Trump" zu sein, heisst noch lange nicht, dass man ein guter Demokrat, ein guter Linker oder irgend sonstwas ist, wofür man sich einen Orden anstecken könnte. Auch das liberale Bürgertum, das sich als der sichere Anker im aufgewühlten Meer der Weltpolitik darstellt, sollte sich vielleicht nicht allzu sehr darauf verlassen, dass es sich mit einer Anti-Trump-Haltung die Absolution erteilen kann. Die freiheitlich-rechtliche Grundordnung in Sonntagsreden anzumahnen, ist ja schön und gut. Doch wenn die Nullzinspolitik den Mittelstand zerstört und die soziale Ungleichheit überall zunimmt, nützt die richtige Gesinnung wenig, um dem Rechtspopulismus entgegenzutreten. Da kann man als der korrekteste Anti-Trump daherkommen. und hat trotzdem nicht recht. "Gegen Trump" zu sein, ist weder moralisch noch geistig ein besonderes Verdienst. Gegen Windmühlen zu kämpfen, war noch nie ein besonderes Verdienst. 

 

Für die Neu-Linken ist Trump die Hassfigur schlechthin, weil er ihr Gutmenschentum als schöne Fassade entlarvt, hinter der man ungestört eine neoliberale Wirtschaftsordnung errichten kann. Trump selbst hat diesen Umstand in einer Rede präzise auf den Punkt gebracht: "Wohlhabende Politiker und Spender drängen auf offene Grenzen und leben ihr Leben hinter Mauern, Toren und Wachen." Der linksliberale Hass auf Trump ist ziemlich albern und selbstentlarvend: vor allem in moralischer Hinsicht. Und das betrifft nicht nur die Wirtschaft und die Globalisierung. Es geht hier nämlich auch um das, wofür die USA schon seit langem kritisiert werden. Es geht um Krieg und Frieden. Es geht um die militärische Hegemonialität einer Grossmacht. Angesichts dessen, dass Obama den Friedensnobelpreis bekommen hat, müsste man Trump eigentlich heilig sprechen. Obama hat sieben Kriege angezettelt, er hat Osama Bin Laden ziemlich rabiat zur Strecke gebracht und mit Killerdrohnen Angst und Schrecken verbreitet. Und Trump? Der verdonnert seine Generäle zum geordneten Rückzug, weil er die USA nicht mehr als Besatzungsmacht definieren will. Dass Trump kein Kriegstreiber ist und eher auf gute Deals als auf militärische Einschüchterungen setzt, unterscheidet ihn von einer ganzen Reihe seiner Vorgänger, egal ob Demokraten oder Republikaner. Rein statistisch gesehen (Kriegstote, Kriegshandlungen) lässt seine bisherige Amtszeit einen verblüffenden Schluss zu: Trump ist der friedfertigste US-Präsident seit Menschengedenken! Vielleicht muss man, um einen passenden Vergleich zu finden, bis zu William Howard Taft zurückgehen, dem 27. Präsidenten der USA. Der ist zwar kein bedeutender, aber der mit Abstand dickste Präsident der USA gewesen, und wenn man ihn überhaupt noch erwähnt, dann nur deshalb, weil er im Weissen Haus eine eigene Kuh hielt und eine speziell grosse Badewanne anfertigen liess, in der er trotzdem mehrmals steckenblieb. Kriege führte er keine. Klar, man weiss nicht, was noch alles kommt, und die Weltlage sieht nicht gerade rosig aus. Dennoch sind Trumps Schwerpunkte unübersehbar. Bomben und Granaten sind es nicht. 

 

Während die meisten meiner Mitmenschen bei jeder Meldung über Trump den Kopf schütteln und Wörter wie "Idiot" oder "Arschloch" murmeln, bin ich auf Schritt und Tritt positiv überrascht. Seit Trump an der Macht ist, hat man zumindest nicht das Problem, dass es einem langweilig wird. Vielleicht ist Trump nicht ganz so einnehmend wie John F. Kennedy, aber mindestens so erfrischend. Nur ein Beispiel: Trump hat verschiedentlich durchblicken lassen, dass er Edward Snowden rehabilitieren möchte. Eine Sensation, die von den meisten Medien unterschlagen wurde, von den gleichen Medien notabene, die sich ansonsten begierig auf die kleinste Nebenbemerkung stürzen, die Trump von sich gibt. Das Narrativ vom "bösen Trump" darf nicht in Frage gestellt werden.

 

Nein, für das höchste Amt der Welt ist Trump sicherlich nicht die ideale Besetzung. Wäre ich US-Amerikaner, hätte ich meine Stimme dem guten alten Bernie gegeben. Doch immerhin ist das ganze Trump-Theater mal etwas Anderes, eine weltpolitische Betriebsstörung, die man durchaus positiv sehen kann. Das wirtschaftliche und ideologische Konstrukt einer neoliberalen Globalisierung wird durch Trump empfindlich gestört. Und ich meine: verdientermassen.

 

2017/18